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Die Überdehnung des § 1666 BGB – eine Rechtsprechungsanalyse

Wie ein Richter Gutes wollte, aber letztlich Schaden anrichtete – Eine Rechtsprechungsanalyse zum Rechtsbeugungsfall des Weimarer Familienrichters

I. § 1666 Abs. 1, 3 und 4 BGB:

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4)In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.


II. Vorwort

Dass Kinder und Jugendliche während der Corona-Pandemie übermäßig durch Schulschließungen, Maskenpflicht und Ausgangsbeschränkungen belastet wurden, ist heute kaum noch umstritten. Studien zufolge haben schätzungsweise ein Drittel der Jugendlichen psychische Beeinträchtigungen erlitten. Kinderärzte und Psychologen warnten bereits während der Pandemie vor den schwerwiegenden Folgen solcher Maßnahmen.

Eine umfassende Aufarbeitung dieser Ereignisse ist dringend erforderlich. Kinder und Jugendliche waren von schweren Verläufen der Corona-Infektion kaum betroffen. Es fehlen zudem bis heute schlüssige Belege, dass symptomlose Personen eine relevante Infektionsgefahr darstellten.

Es muss geklärt werden, wie es zu politischem, gesellschaftlichem und rechtlichem Versagen kommen konnte. Insbesondere sollten Lehren daraus gezogen werden, um ähnliche Fehler in der Zukunft zu vermeiden.

III. Historischer Hintergrund

Der Fall des Familienrichters aus Weimar im April 2021 erlangte bundesweite Aufmerksamkeit. In einem Eilverfahren entschied er auf Grundlage von § 1666 Abs. 1 und 4 BGB, dass zwei Schulen keine Masken-, Abstands- und Testpflichten durchsetzen dürfen. Diese Entscheidung löste sowohl politische Empörung als auch Zustimmung aus. Letztlich führte sie jedoch zum beruflichen und persönlichen Ruin des Richters.

Das Oberlandesgericht Jena hob die Beschlüsse kurz darauf auf. Der Richter wurde disziplinarrechtlich seines Amtes enthoben und 2023 wegen Rechtsbeugung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Im November 2024 bestätigte der Bundesgerichtshof die Verurteilung, wobei die schriftliche Urteilsbegründung noch aussteht.

IV. Sinn und Zweck des § 1666 BGB

§ 1666 BGB dient als ultima ratio, um Kinder vor Gefahren zu schützen, wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht grecht werden können.

Die Vorschrift steht im Kontext zu Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG), wonach Pflege und Erziehung der Kinder als das natürliche Recht der Eltern und die vornehmliche Pflicht definiert. Der Staat hat lediglich eine Wächterfunktion und darf nur eingreifen, wenn das Kindeswohl akut gefährdet ist.

Grundsätzlich obliegt es den Eltern, für das Kindeswohl zu sorgen. Nur wenn dies nicht gewährleistet ist, darf ein Familiengericht eingreifen.

V. Die Feststellungen des Weimarer Richters

Der Weimarer Richter stützte seine Entscheidung auf drei Gutachten, die eine Kindeswohlgefährdung durch die Masken-, Abstands- und Testpflicht belegten. Die Gutachten kamen zu dem Schluss, dass diese Maßnahmen physische, psychische und pädagogische Schäden verursachen und die Rechte der Kinder und Eltern aus Artikel 2 und Artikel 6 GG verletzen.

Eine solche Gefährdung liegt hier vor. Denn die Kinder werden insbesondere durch die Pflicht, während der Schulzeit Gesichtsmasken zu tragen und Abstände untereinander und zu weiteren Personen einzuhalten, in ihrem geistigen, körperlichen und seelischen Wohl nicht nur gefährdet, sondern darüber hinaus schon gegenwärtig geschädigt. Dadurch werden zugleich zahlreiche Rechte der Kinder und ihrer Eltern aus Gesetz, Verfassung und internationalen Konventionen verletzt. Das gilt insbesondere für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Grundgesetz sowie für das Recht aus Artikel 6 Grundgesetz auf Erziehung und Betreuung durch die Eltern (auch im Hinblick auf Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge und von Kindern zu tragender „Gegenstände“). Das gilt aber auch für weitere Rechte der Kinder, wie sie in A IV. von der Mutter der Kinder angeführt werden.

Die Kinder werden physisch, psychisch und pädagogisch geschädigt und in ihren Rechten verletzt, ohne dass dem ein Nutzen für die Kinder selbst oder Dritte gegenübersteht.“

Die Feststellung der Kindeswohlgefährdung durch den Richter war inhaltlich nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet.

VI. Fehler und Rechtswidrigkeit der Entscheidung

a) Überdehnung des § 1666 BGB

Die vom Richter ergriffenen Maßnahmen überstiegen aber den Rahmen, den § 1666 Abs. 3 BGB vorgibt. Die Norm listet mögliche gerichtliche Maßnahmen auf, die sich aber alle auf Handlungen beschränken, die Eltern selbst vornehmen könnten. Schulische Anordnungen oder staatliche Verordnungen aufzuheben, liegt jedoch außerhalb dessen, was Eltern und somit ein Familiengericht anordnen können.

b) Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung

Die Überprüfung der Corona-Schutzmaßnahmen fiel in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (§ 40 Abs. 1 VwGO). Der Familienrichter griff hier unzulässig in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein, was einen Verstoß gegen Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellte.

c) Verstoß gegen die Gewaltenteilung

Mit seiner Entscheidung griff der Richter in die legislative Kompetenz ein. Mit seinen Anordnungen gegenüber die Schulen regelte er nicht nur zwei Einzelfälle, sondern eine Vielzahl von Fällen, was einer partiellen Aufhebung gesetzlicher Regelungen gleich kommt. Dies widerspricht Artikel 20 Abs. 3 GG, wonach die Judikative an Recht und Gesetz gebunden ist.

VII. Rechtsbeugung (§ 339 StGB)

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

Die Verurteilung des Richters wegen Rechtsbeugung basiert auf der Feststellung, dass er bewusst schwerwiegend von Recht und Gesetz abwich, um politische Ziele zu verfolgen. Er verstieß gegen grundlegende rechtsstaatliche Grundsätze und gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Der Richter handelte nicht im Rahmen seiner richterlichen Neutralität und überschritt seine Kompetenzen, indem er eine nicht bestehende Zuständigkeit für sich reklamierte.

Die strafrechtliche Relevanz ergibt sich daraus, dass er die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts unterlief und dem Freistaat Thüringen dadurch das Recht auf einen gesetzlichen Richter entzog. Darüber hinaus unterlief er die Gesetzgebungskompetenz des Freistaats Thüringen.

VIII. Fazit

Dem Weimarer Richter ist zugutezuhalten, dass er eine Kindeswohlgefährdung zu Recht annahm und bemüht war, dieses Unrecht zu beseitigen. Trotz seiner guten Absichten handelte er jedoch massiv rechtswidrig. Sein Vorgehen stellte eine mehrfache Kompetenzüberschreitung sowie einen Amtsmissbrauch mit strafrechtlicher Tragweite dar. Auch wenn seine Einschätzung zur Kindeswohlgefährdung richtig war, so schadete er mit seinem unhaltbaren Amtsmissbrauch seinem berechtigten Anliegen und der Glaubwürdigkeit der Maßnahmenkritik.

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