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Berufliche Wegeunfälle, Dienstfahrten und die gesetzliche Unfallversicherung – Fallbesprechungen

0. Einleitung

In diesem Dokument werden ausschließlich Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung thematisiert. Darüber hinaus können weitere Haftpflicht- oder Versicherungsansprüche bestehen. Bei hohen Schadenssummen empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt mit der Schadenregulierung zu beauftragen.

I. Rechtslage zur gesetzlichen Unfallversicherung

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Beschäftigte während ihrer beruflichen Tätigkeit gesetzlich unfallversichert. Nach § 8 Abs. 2 SGB VII zählt dazu auch das Zurücklegen des unmittelbaren Weges zur und von der Arbeitsstätte, sofern dieser im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht. Zuständig sind entweder die Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen.

II. Einzelfälle zu Wegeunfällen

1. Berufliche Nutzung eines PKW

Die dienstliche Nutzung eines PKW ist stets gesetzlich unfallversichert. Dies gilt für sämtliche dienstliche und berufliche Fahrten. Erleidet beispielsweise ein angestellter Vertreter auf seiner Fahrt vom Firmengelände zu einem Kunden einen Unfall, so ist dieser versichert.

2. Freizeitliche Nutzung eines Dienstwagens

Die Nutzung eines Dienstwagens in der Freizeit unterliegt nicht dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, da Freizeit nicht zur beruflichen Tätigkeit gehört.

Gemäß Art. 2 Abs. 4 Ziff. 1, 2. Var. der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003) ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, in der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht, seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass Zeit, die nicht dem Arbeitgeber dient, als Freizeit gilt.

3. Fahrt mit dem Dienstwagen von Zuhause zum Kunden

Die Fahrt von Zuhause zu einem Kunden ist versichert, sobald der Arbeitnehmer dabei eine berufliche Aufgabe erfüllt. Spätestens mit dem Betreten des Fahrzeugs beginnt die berufliche Tätigkeit.

4. Sturz auf dem Weg zum Fahrzeug

Ein Sturz auf dem Weg zum Dienstfahrzeug ist versichert, wenn die Fahrt zum Kunden geplant war. Falls der Arbeitnehmer seine Arbeit im Home-Office zu festen Zeiten erbringt und das Haus innerhalb dieser Arbeitszeit verlässt, kann dies als berufliche Tätigkeit gewertet werden.

Auch außerhalb der Arbeitszeit ist der Weg zum Fahrzeug versichert, wenn es sich um einen unmittelbaren Weg zum Kunden handelt.

5. Fahrradnutzung im Auftrag des Arbeitgebers

Fahrten mit dem Fahrrad sind ebenso gesetzlich unfallversichert wie Fahrten mit dem PKW. Ist die Nutzung dienstlich angeordnet, so gilt die Fahrt als Arbeitszeit. Dient die Fahrt der Anreise zum Arbeitsplatz, ist sie versichert, sofern der Weg unmittelbar ist.

6. Umwege während Dienstfahrten

Umwege sind während einer Dienstfahrt versichert, solange sie erkennbar dienstlichen Zwecken dienen. Wenn sich der Arbeitnehmer verfährt oder einen Umweg nimmt, um einen Stau zu umfahren, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.

Der Schutz entfällt jedoch, wenn die Fahrt nicht mehr erkennbar betrieblichen Zwecken dient. Wird die Dienstfahrt beispielsweise für einen privaten Einkauf unterbrochen, liegt keine berufliche Tätigkeit mehr vor. Erfolgt der Einkauf hingegen auf dienstliche Anweisung, bleibt der Schutz bestehen.

7. Umwege auf dem Weg zur Arbeit

Nach § 8 Abs. 2 SGB VII ist der unmittelbare Weg zur Arbeitsstätte versichert. Das Kriterium der „Unmittelbarkeit“ gewährt jedoch einen gewissen Spielraum bei der Routenwahl. Es gibt nicht nur einen einzigen versicherten Weg, sondern mehrere mögliche Wege.

Laut Bundessozialgericht (Urteil vom 28.06.2022, B 2 U 16/20 R) bleibt der Versicherungsschutz bestehen, sofern keine anderen wesentlichen Gründe für die gewählte Route vorliegen als das Erreichen des Arbeitsplatzes.

Das Kriterium der Unmittelbarkeit gewährt dem Versicherten bei der Routenwahl breite Spielräume, die individuellen Überlegungen, Vorlieben, Neigungen und Gewohnheiten Raum lässt. Es kann somit mehrere versicherte Wege geben, sodass nicht nur der jeweils kürzeste, schnellste, ideale oder optimale Weg geschützt ist. Ist die eingeschlagene Route länger als die kürzeste, schnellste oder direkte Strecke, so stellt dies den Versicherungsschutz nur in Frage, wenn für die Wahl andere Gründe wesentlich waren als die Absicht, den Zielort zu erreichen.

Gerichte entscheiden im Einzelfall, ob der gewählte Umweg noch als versicherter Weg gilt. Je größer und abwegiger der Umweg, desto schwieriger ist es, den Versicherungsschutz nachzuweisen.

Kraft Gesetz sind jedoch nachfolgende Umwege versichert, wenn:

  • der Umweg der Bildung einer Fahrgemeinschaft dient.
  • Der Arbeitnehmer seine Kinder auf dem Weg zur Arbeit zur Schule oder Kita bringt.

Nicht versichert sind Umwege aus privaten Interessen.

8. Ein Fall aus der Praxis: Unfall mit dem E-Bike auf einer Dienstfahrt

Ein Mitarbeiter transportierte mit einem Sprinter ein E-Bike des Arbeitgebers zu seinem Zuhause, um es dort in seiner Garage für die Firma unterzustellen. Am nächsten Morgen sprang der Sprinter nicht an. Nach Absprache mit dem Arbeitgeber fuhr er mit dem E-Bike zur Firma, um seinen PKW zu holen und eine neue Batterie für den Sprinter zu besorgen. Dabei verfährt er sich und hat einen Unfall. Seine Firma meldete einen Wegeunfall an. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Leistung mit der Begründung ab, dass der Weg nicht unmittelbar mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhänge.

Allerdings war die Nutzung des Sprinters eine dienstliche Aufgabe. Die Rückführung des Sprinters war als Leerfahrt zum Betriebsgelände geplant und begonnen worden. Die anschließende Fahrt mit dem E-Bike war auf Weisung des Arbeitgebers erfolgt und fand in der Dienstzeit statt und war damit versichert. Ein privates Interesse an der Fahrt bestand nicht. Weil er den Fahrradweg nicht kannte, kam es zu dem Umweg.

9. Fazit

Diese Beispiele zeigen, dass Wegeunfälle im Einzelfall genau geprüft werden müssen. Entscheidend ist stets, ob der Unfall während einer beruflichen Tätigkeit oder auf einem unmittelbaren Arbeitsweg geschah.


Hinweis: Im Zweifel sollte bei einem Wegeunfall frühzeitig rechtlicher Rat eingeholt werden, um eine mögliche Ablehnung durch die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zu vermeiden.

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